Ehrenamtliches Engagement als gesellschaftliche Berufung

NACHRUF AUF VOLKER SCHÜTZ

Von Professor Dr. Wolfgang Schneider

Vor genau zwanzig Jahren gab es in unserer Gemeinde mal einen „Runden Tisch Kultur“, der die lokale Kulturszene vereinen sollte, es gab Bischofsheimer Kulturtage und ein Gremium mit dem programmatischen Titel „Lebendiges Bischofsheim“. Es ging darum, „der Ortskultur Gestalt, dem Gemeinwesen Gehalt und ein unverwechselbares Profil“ zu geben. Einer, der nicht nur mitmachte, sondern diese Initiativen maßgeblich auch mitgestaltete, war Volker Schütz, ein Aktivposten der kommunalen Gesellschaft, vielfältig vernetzt und sozial engagiert. Am 13. Juni dieses Jahres ist er nach langem Kampf gegen den Krebs im Alter von 54 Jahren verstorben.

 

Als Sohn von Erna und Walter Schütz wuchs er in der Böckler-Siedlung auf, besuchte die hiesige Gutenberg-Schule, die Anne-Frank-Realschule in Mainz und schließlich das dortige Gustav-Stresemann-Gymnasium, das er mit dem Abitur abschließen konnte. Schon die Namen, mit denen er in jungen Jahren konfrontiert war, müssen ihn geprägt haben: Das Bedürfnis, schützen zu müssen, ist auch eine Haltung seiner sozialdemokratischen Familientradition, zumal der Nachname aus dem Mittelhochdeutschen kommt und für Stadtwächter, Waldhüter oder Flurschutz stand. Der Erfinder des Buchdrucks hat ihn zum bibliophilen Menschen erzogen, der schreiben konnte, auch weil er was zu sagen hatte. Die Beschäftigung mit Anne Frank hat ihn zum Kämpfer gegen Rassismus und Antisemitismus gemacht. Und jener Außenminister der Weimarer Republik, dem man in unserer Nachbarstadt eine Schule widmete, der mit Diplomatie versucht hat, Europa nach dem Ersten Weltkrieg zu retten, der könnte es gewesen sein, ihn zu überzeugen, sich sein Leben lang für Frieden und Freiheit einzusetzen.

 

Bischofsheim hat ihm viel zu verdanken

Studiert hat er viel, der Volker Schütz, Jura, Geschichte und Germanistik, studiert hat er aber vor allem in der Praxis; beim Buchhändler in Rüsselsheim, beim Historischen Museum in Frankfurt am Main, beim Förderverein jüdische Geschichte im Kreis Groß-Gerau. Seine erkenntnisreichsten Erfahrungen machte er offenbar nicht durch langfristige Arbeitsverträge; er liebte das Projekt. Er war Teamer bei museumspädagogischen Aktionen, konzipierte Ausstellungen für Kinder, gestaltete das Begleitprogramm im Goethe-Jahr der Mainmetropole, organisierte Stadtspaziergänge und führte durch die Kunsthalle Schirn im Rahmen der Veranstaltungen zu „1848 – Aufbruch zur Freiheit“. Auftraggeber waren die Landeszentrale für politische Bildung in Hessen und die Kulturregion Frankfurt-Rhein/Main. Der Main-Taunus-Kreis hat ihn schließlich für einen dauerhaften Job gewinnen können. Bis zuletzt war er dort bei der Beschäftigungsförderung und als Vorsitzender des Personalrates wiederum in sozialen Angelegenheiten tätig.

 

Seine Heimatgemeinde hat ihm viel zu verdanken. Viele Jahre war er Mitarbeiter bei den Ferienspielen der Jugendpflege, mit anderen gründete er die Museumsspiele für Kinder im Sommer und initiierte die alljährlichen Weihnachtsmärkte im Rosengarten. Seit 1993 war Volker Schütz Mitglied im Vorstand des Heimat- und Geschichtsvereins (HGV), zunächst als Beisitzer, dann als Schriftführer und seit 2001 als Sprecher. Für das Museum begann eine Blütezeit. Die Sammlungen zur Vor- und Frühgeschichte, Eisenbahnlandschaft und Landwirtschaft wurden erweitert, ein Arbeitskreis kümmerte sich um künstlerische Veranstaltungen und es fanden unter seiner Kuration Ausstellungen zu den Themen „Schule in Bischofsheim“, „Bischofsheim im Bombenkrieg“ sowie zum Schullehrer und Heimatforscher Georg Mangold statt, letztere erstmals mit einer gesamten Werkschau zu dessen künstlerischen Schaffens. Mehr als ein Dutzend Mal stellte er mit historischen Postkarten und Fotografien den „Bischofsheimer Kalender“ zusammen.

 

Bürgerpreis für einen kreativen Kopf

Ein Experiment mit Mut und Muskelkraft war die Grabung am Ortsdamm, dem historisch einmaligen Kulturdenkmal aus dem 16. Jahrhundert. Volker Schütz besorgte nicht nur die Expertise der Angewandten Kulturwissenschaften, sondern auch die „Nachforschungsgenehmigung“ des Hessischen Landesamtes für Denkmalpflege und einen „Gestattungsvertrag“ der Gemeinde sowie die Sponsorenmittel bei den lokalen Geldinstituten. Seit diesem Jahr können die Bürger von Bischofsheim auf sieben Tafeln nachlesen, was man alles wissen sollte, wenn man entlang des Ortsdammes wandelt. Im Jahre 2020 wurde dem HGV der Bürgerpreis der Gemeinde Bischofsheim verliehen und somit auch seinem kreativen Kopf, der immer wieder auf Flohmärkten und bei Ebay für Nachschub mit Objekten in den Sammlungen sorgte.

 

Volker Schütz war ein streitbarer Geselle, hartnäckig, aber klug, voller Leidenschaft und doch immer gesprächsbereit. Ich erinnere mich an das erste Jahr der Pandemie, in dem ich ihn in der Laube seines Gartens, wo er sich mit seiner Frau Conny ein idyllisches Heim geschaffen hatte, öfters besuchen durfte. Wir besprachen Forschungsbedarfe zur Heimatkunde, die Zukunft des Lehr-Stellwerks am alten Bahnhof als Dependance für das Museum und die Rolle von Kunst und Kultur in der Kommunalpolitik. Dortselbst hatten wir uns als Genossen kennengelernt. Er war ein paar Jahre Gemeindevertreter der SPD und hatte große Ambitionen, vieles zu verändern. Mit seiner damaligen Anschaffung eines roten Feuerwehrautos machten wir gemeinsam Wahlkampf. Mit großem Vergnügen fuhren wir zu Infoständen und Bürgergesprächen durch den Kreis. 

 

Gedenkkultur als kommunaler Auftrag

Am Herzen lag ihm besonders die Gedenkkultur. Und auch dafür hat er sich jahrelang eingesetzt. Wenn es nach ihm gegangen wäre, würden schon jetzt überall da, wo jüdische Mitbürger gewohnt haben, die von den Nationalsozialisten im Angesicht der Bevölkerung ausgegrenzt, deportiert und ermordet wurden, „Stolpersteine“ liegen und an eine Zeit erinnern, aus der noch immer die Lehren zu ziehen sind. In einem Text anlässlich der Reichspogromnacht beschäftigt er sich mit dem Lernen aus der Geschichte. „Bis vor wenigen Jahren hätte ich mit gewissen Zweifeln daran geglaubt.“ Aber heute würde wieder den „Demagogen, Brandstiftern und Lügner“ hinterhergelaufen, der Demokratie „von denen da oben“ misstraut und gegen die vermeintliche „Lügenpresse“ gehetzt. „Was ist in die Menschheit gefahren?“ So fragte Volker Schütz am 9. November 2020. „Und wieso sind so viele immun gegen Verstand und Logik?“ Deshalb sei es ihm wichtig, immer wieder zu erinnern, „über Bildung eine Haltung zu entwickeln“ und schließt mit Bertolt Brecht: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“

 

Volker Schütz gab sich die Ehre, sich gesellschaftlich berufen zu fühlen. Sein Leben war geprägt vom sozialen Engagement. Mit seinem Tod hinterlässt er eine große Lücke in der Heimat- und Kulturpflege von Bischofsheim. Sein Vermächtnis ist Auftrag derer, die in einer Gemeinde wohnen wollen, die Geschichte nicht als abgeschlossen sehen, sondern als lebendige Erzählung für die Zukunft.