Bischofsheimer Rundgang

Originaltext von 1993 in neuer Rechtschreibung

 

Ortsrundgang

 

Wir beginnen unseren Ortsrundgang auf dem Vorplatz der ev. Kirche, dem ältesten Ortsteil Bischofsheims. Diese leichte Erhebung bot in Hochwasserzeiten Mensch und Tier guten Schutz. Bis zum Jahre 1839 war der Kirchenvorplatz als Friedhof genutzt worden und diente später als Standort für die jetzt auf dem heutigen Friedhof aufgestellten Ehrenmale für die Gefallenen der Kriege. Mehrere Male wurde der Vorplatz umgestaltet, blieb aber bis heute eine repräsentative Anlage vor der ev. Kirche, von der aus man einen schönen Blick auf das Alte Rathaus und die älteste Gaststätte Bischofsheims, die "Krone", hat.

Auf dem heutigen Parkplatz neben der Kirche befand sich der St. Viktorhof, im Volksmund auch Faselstall genannt, weil dort der Dorfbulle seiner wichtigen Tätigkeit zur Arterhaltung der Rinder nachkommen durfte. Bis zum Neubau des heutigen Feuerwehrgerätehauses waren dort auch die Gerätschaften der Feuerwehr untergebracht.

Eine bereits im 8. Jh. gegründete, dem Hl. Martin geweihte Kirche, wird im Bereich der ev. Kirche (1) vermutet. Der erste gesicherte Kirchenbau der Gemeinde wurde im 13. Jh. an der Stelle der heutigen ev. Kirche errichtet und mit dem Patrozinium des Hl. Aegidius ausgestattet. Seit je her fällt das Kirchweihfest auf den Tag dieses Heiligen. Im Zuge der Reformation, Mitte des 16. Jh., ist Bischofsheim evangelisch geworden. In den Wirren des 30jährigen Krieges wurde der Ort geplündert und die Kirche gebrandschatzt (wahrscheinlich 1635 niedergebrannt). Im Jahre 1650 wurde mit dem Wiederaufbau begonnen. In den Jahren 1747/48 - damals lebten in Bischofsheim kaum mehr als 370 Einwohner - wurde der Erweiterungsbau ausgeführt, jener Barockbau mit kreuzförmigem Grundriss, wie er bis heute erhalten ist. Bei der Innenausstattung der Kirche sind besonders die Deckengemälde des Darmstädter Malers Seekatz hervorzuheben. Der ursprüngliche Glockenturm wurde 1935 erneuert. Damit man das Geläut in einem weiteren Umkreis hören konnte, wurde ein höherer Turm gebaut und eine elektrische Läutemaschine angeschafft. Im Jahre 1957 wurde der Glockenturm nochmals verändert und dem Barockelement der Kirche angeglichen.

In früheren Zeiten war es ein Privileg der Männer, nach dem Sonntagsgottesdienst zum Frühschoppen einzukehren. Nun, die "Krone" (2) war nicht weit! Das im Jahre 1612 errichtete Gebäude konnte im Jahre 1962 sein 350jähriges Bestehen feiern. Über 100 Jahre war die Gaststätte im Besitz der Fam. Wiesenecker. 45 Jahre davon bewirtschaftete der ehrenamtliche Bürgermeister Philipp Jakob Wiesenecker die "Krone". Die Lage der Gaststätte erklärt sich fast von selbst. An der Hauptdurchgangsstraße des Dorfes gelegen, war sie immer Dreh- und Angelpunkt für Fremde und Einheimische.

Wenden wir unseren Blick nun zum Alten Rathaus (3). Der Schultheiß, Bierbrauer und Wirt Walther Schildge stellte 1649 - ein Jahr nach dem Ende des 30jährigen Krieges - der Gemeinde eine Hofreite zur Verfügung und forderte den Gemeinderat auf, ein Rathaus zu bauen, das auch einen Raum für schulischen Unterricht beherbergen sollte. Nach der Fertigstellung des Hauses im Jahre 1652 fand dort am 1 . März desselben Jahres die erste Gemeinderatssitzung statt. Bischofsheim zählte damals 200 Einwohner. Von 1652 bis zum Jahre 1874 diente es ununterbrochen als Schul- und Rathaus, in dem zugleich der Schullehrer wohnte. In der Funktion als Rathaus erfüllte es bis zum Jahr 1948 seinen Zweck.

Die Häuser im alten Ortskern waren im Fachwerkstil erbaut. Die Errichtung des ersten reinen Steingebäudes, des Zehnthofs St. Viktor (4), fand im Jahre 1740 statt. Die Bischofsheimer Bauern waren den Mainzer Stiften gegenüber zinspflichtig, was für sie bedeutete, dass sie ihren "Zehnten" an den jeweiligen Hof abliefern mussten, von wo er an das Stift weitergeleitet wurde. Der St. Viktorhof, der von einem sog. Hofmann verwaltet wurde, galt als die größte und schönste Hofreite im Dorf. An den St. Viktorhof erinnert heute nur noch der Original-Torbogen, der am Ende der Weisenauer Gasse als Denkmal aufgestellt wurde.

Wir betreten nun den Ortsdamm (5), wenden uns hier nach links und sehen dann rechter Hand das Feuerwehrgerätehaus (6) von 1960 mit seinem Schlauchturm vor uns. Wahrscheinlich wurde der Ortsdamm im 16. Jh. als Schutz gegen Gefahren von außen - Überschwemmungen, Überfälle - angelegt. Bis zur Eindeichung von Main und Rhein um etwa 1800 war eine Bebauung außerhalb des Ortsdammes nicht möglich. Ihm vorgelagert war der Dorfgraben mit Hecken und Büschen. Wenn wir jetzt dem Damm entlang bis zur Darmstädter Straße folgen, sehen wir nach dem Treppenabgang auf der rechten Seite zwei in Stein gearbeitete Rillen, in die bei Hochwasser starke Bohlen eingeschoben und die Zwischenräume mit Erde und Sand verfüllt wurden, um so das Dorf vor dem Wasser zu schützen. Der Dorfeingang war wie die Ortsdurchfahrt ursprünglich viel enger, wurde aber im Zuge von Umbaumaßnahmen der letzten Jahre verbreitert.

Wenn man nun in Richtung Ortskern blickt, erkennt man im Nachbau der Gaststätte "Backhaus" (7) die Stelle, an der das ehemalige Gemeindebackhaus stand und wo früher die Darmstädter Straße einem s-förmigen Verlauf (sog. S-Kurve) folgte. Bevor wir die Darmstädter Straße überqueren, um unseren Rundgang auf dem Damm fortzusetzen, richten wir unseren Blick auf ein rechts neben dem Dammaufgang gelegenes schönes Fachwerkhaus (8), das ursprünglich am Jagdschloss Mönchbruch stand und im Jahre 1840 an seiner heutigen Stelle aufgebaut wurde. Wenn wir nun auf dem Ortsdamm weitergehen, sehen wir linker Hand die rückwärtige Ansicht des alten Ortskernes mit seiner typischen, engen fränkischen Bebauung. Am Fuße des Dammes floss früher der Dorfgraben, der als Dohl (oder auch Dol) bekannt ist.

Nach wenigen Schritten kommt der Uhrenturm des heutigen Rathauses (9) in Sicht. Das Gebäude war im Jahre 1874, nachdem die Schulräume im Alten Rathaus gegenüber der ev. Kirche nicht mehr genügend Platz boten, zunächst als Schule erbaut worden. Die Schülerzahl war im Jahre 1873 auf 275 angewachsen, in einer Zeit also, in welcher Bischofsheim bereits 1400 Einwohner und 190 Häuser hatte. Bis zum Jahre 1948 diente das Gebäude als Schulhaus, ehe es unter Bürgermeister Karl Graf zum Rathaus umgebaut und am 7. März 1948 als solches eingeweiht wurde. Die Einwohnerzahl Bischofsheims stieg weiterhin stetig an und betrug im Jahre 1895 bereits ca. 3000 Einwohner mit über 400 Schulkindern. Das Alte Rathaus war inzwischen ganz für die Verwaltung der Gemeinde in Anspruch genommen worden. Am 30. Juli 1895 genehmigte der Gemeinderat den Bau des Schulhauses an der Spelzengasse (10) - heute Rathaus II -, das am 9. August 1896 eingeweiht wurde. Der Zuzug nach Bischofsheim hielt weiter an, so dass der Schulraum bis in die neuere Zeit immer wieder eng wurde. Aus diesem Grunde entstanden an der Schulstraße im Jahre 1910 die Gutenbergschule, 1956 die Theodor-Heuss-Schule und 1969 die Georg-Mangold-Schule. An dieser Stelle sei auch ein Abstecher an die ehemalige Handwerker- oder Gewerbeschule erlaubt, in der heute die Polizeistation (Mainzer Straße) untergebracht ist. Diese Schule wurde im Jahre 1908 von dem 1899 gegründeten Gewerbeverein errichtet. Mit der fortschreitenden Entwicklung der Handwerkswaren und Industriebetriebe waren auch die Anforderungen an die Lehrlinge gestiegen. In dem Bestreben, diesem Zustand gerecht zu werden, bot der Ortsgewerbeverein ein umfangreiches Programm an Fachkursen, Zeichenunterricht und Fortbildungslehrgängen an.

Wenn wir nun dem ursprünglichen - heute nicht mehr vorhandenen - Verlauf des Dammes weiter folgen, passieren wir zuerst den oft umgebauten Rosengarten (11) und kommen schließlich zur Frankfurter Straße. Dort, wo heute die Schulstraße in großzügiger Breite in die Frankfurter Straße einmündet, stand bis zum Jahre 1973 das historische Gasthaus "Zur alten Schmiede" (12) - erbaut 1858 -, das leider der Spitzhacke zum Opfer fiel. In einer Zeit, die wieder die Verlangsamung des Verkehrsflusses in Wohngebieten anstrebt, hätte die "Alte Schmiede" eine wirksame Beruhigung der Schulstraße dargestellt.

Wir verlassen nun den ehemaligen Verlauf des Ortsdammes und biegen nach links in die Frankfurter Straße ein, um uns unserem nächsten Ziel, dem Domstiftshof (13), zuzuwenden. Auf dem Weg dorthin lohnt sich ein Blick auf die andere Straßenseite, wo dem Betrachter sofort ein schmuck herausgeputztes Fachwerkhaus (14) ins Auge fällt. Der Domstiftshof wird um das Jahr 1278 erstmals erwähnt und war Eigentum des Mainzer Domstiftes. Hier überwachten über Jahrhunderte die Mainzer Hofmänner die Entrichtung des Zehnten aus den Einkünften ihrer Besitzungen. 1779 ging der Hof in "Erbleihe" an den Schultheißen Johann Michael Hassemer und dessen Schwiegersohn Philipp Wiesenecker über. Seit 1854 ist der Hof im Besitz der Familie Schneider. Das Wappen des Domkapitels ist über dem Tor noch erhalten. 

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite kommen wir nach wenigen Schritten zur Einmündung der Dreihäusergasse, an deren Ende die Mahlsteine der Ölmühle (15) des Domstiftshofes aufgestellt sind. Mit Hilfe der Mahlsteine wurde früher Rapsöl gewonnen. Die Ölmühle des Domstiftshofes war bis in unser Jahrhundert hinein in Betrieb und wurde 1972 abgetragen. Ein Fußgängerweg führt uns wieder auf den Ortsdamm, dem wir nach rechts in Richtung Rampenauffahrt folgen. An seinem Ende wenden wir uns nach links in die Dammstraße, die uns zum Marienplatz führt.

Auf dem Marienplatz (16) erinnert eine Gedenktafel an die ehemaligen jüdischen Mitbürger, die von dieser SteIle aus am 20. März und 21. September 1942 in die Vernichtungslager abtransportiert wurden. Unser nächstes Ziel ist die katholische Kirche (17), die nach dem Unterqueren der Brücke in Sichtweite kommt. Durch das Anwachsen der Einwohnerzahl infolge Zuzugs von Eisenbahnbediensteten und damit vieler Katholiken war der Bau einer katholischen Kirche notwendig geworden. Ein erstes Gotteshaus wurde im Jahre 1902 in neuromanischem Stil erbaut, jedoch bereits im Jahre 1926 wegen Baufälligkeit wieder abgebrochen. Noch im gleichen Jahr wurde eine neue Kirche im zeitgemäßen Jugendstil unter Leitung von Prof. Dominikus Böhm errichtet, der mit diesem Bauwerk - der heutigen Christ-Königs-Kirche - dem modernen Sakralbau in Deutschland zum Durchbruch verhalf.

Wir folgen nun weiter dem Verlauf der Hochheimer Straße und wenden uns an ihrer Einmündung in die Frankfurter Straße nach links, wo wir nach wenigen Metern zu einem Gebäude gelangen, das der ehemaligen jüdischen Gemeinde als Synagoge (18) diente. Gegenüber dem Haus, in dem heute eine Gaststätte untergebracht ist, erinnert eine Gedenktafel an die ursprüngliche Funktion. Auf unserem weiteren Weg, der uns durch die Taunusstraße zur Bahnhofstraße führt, kommen wir durch ein Gebiet, wo in den 20er Jahren von Georg Mangold die Reste einer römischen Ansiedlung entdeckt worden waren. In der Bahnhofstraße wenden wir uns nach links und sehen auf der linken Seite den Saalbau (19) vor uns, der bis zur Errichtung des Bürgerhauses Mittelpunkt des kulturellen Lebens in der Gemeinde war. Am Ende der Bahnhofstraße, auf der rechten Seite, stand ehemals der Saal Schad (20), zu dessen Gästen auch die Familie Opel gehörte.

Unmittelbar vor uns liegen jetzt das alte Bahnhofsgebäude (21) und der Wasserturm (22), das Wahrzeichen der Gemeinde Bischofsheim. Letzterer diente der Versorgung der Dampflokomotiven mit dem nötigen Wasser. Er wurde in den Jahren 1929/30 zusätzlich zu einem im Bahnbetriebswerk stehenden Wasserturm errichtet (1972 abgerissen) und zeigt die Merkmale des Jugendstils. Der frühzeitig erfolgten Anbindung an das Schienennetz verdankte Bischofsheim seinen Aufschwung. Als im Jahre 1858 die Hessische Ludwigsbahn auf der Strecke Darmstadt - Gustavsburg den Zugverkehr aufnahm, gehörte Bischofsheim zu den Haltestationen. Mit der Fertigstellung der Mainzer Südbrücke und der Verbindung nach Frankfurt wurde Bischofsheim zu einem bedeutenden Verschiebebahnhof. In einem halben Jahrhundert hatte sich die Bevölkerung auf nunmehr 2 300 Einwohner verdoppelt. Bischofsheim wurde und wird nicht umsonst als Eisenbahnergemeinde apostrophiert. Das heutige Empfangsgebäude (23) wurde im Jahr 1902 errichtet, nachdem ein Umbau und eine Vergrößerung des gesamten Bahnhofs notwendig geworden war. Die alte Station am Ende der Bahnhofstraße erhielt nun die Funktion eines Bürogebäudes. Die Einweihung des nunmehr größten Verschiebebahnhofs Süddeutschlands zusammen mit der Brücke über den Main erfolgte am 1. Mai 1904 unter Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II. und dem Großherzog von Hessen. In den beiden Weltkriegen war der Bahnhof Schauplatz von Truppenbewegungen. Im Jahr 1923 formierte sich hier der passive Widerstand gegen die französische Besatzungsmacht. In neuerer Zeit verliert der Bahnhof an Bedeutung hinsichtlich der Beschäftigungsmöglichkeiten, bleibt jedoch für den sogenannten kombinierten Verkehr (Straße/Schiene) interessant.